WTW: Großmeister Bill, du bist Gastprofessor der Kampfkünste. Wie bekamst du den Titel und welche Verantwortung hast du damit übernommen?
GM Bill Newman: Der Professortitel wurde mir von der bulgarischen Universität in Plovdiv verliehen. Als Repräsentant der EWTO unterrichte ich dort regelmäßig oder schicke Leute dorthin, um Escrima bekannt zu machen. Es ist ein Privileg und macht viel Spaß.
Die Leute der Universität, da bin ich sicher, sind froh, dass sie mich haben, sonst würden sie mich nicht einladen. Sie wissen, dass ihr Land im Begriff ist, sich zu öffnen. Ich denke, einer der Gründe, weshalb wir dort eingeladen wurden, ist, dass die jungen Leute dort sehen wollen, wie wir aussehen, was wir tun, was unsere Botschaft ist. Für mich bedeutet die Möglichkeit, dorthin zu gehen, eine persönliche Erfahrung. Und ich fühlte mich sehr geehrt, dass man mir den Ehrentitel eines „Gastprofessors“ verliehen hat. Ich werde weiterhin versuchen, so oft wie möglich dorthin zu gehen. Und ich werde alle Leute, die ich treffe, wissen lassen, dass es dort eine Universität gibt, an der Kampfkünste außerordentlich hoch geschätzt werden.
WTW: Und das Wissen, das du dort weitergibst, ist mehr oder weniger dasselbe, das du hier unterrichtest?
GM Bill Newman: Ohne Zweifel. Es gibt kein ein-, zwei- oder dreigliedriges System – mit Ausnahme für die Polizei und der Sicherheitskräfte, auf deren Bedürfnisse einige Teile des Systems zugeschnitten sind.
WTW: Gibt es zur Erlangung einer Graduierung auch eine mündliche und schriftliche Prüfung?
GM Bill Newman: Noch nicht bei den Schülergraduierungen – aber sobald sie auf der Technikerebene sind, dann gibt es natürlich eine theoretische Prüfung. In der Zukunft kann es auch einen theoretischen Teil für jeden Schülergrad geben.
WTW: Wenn du auf deine zahlreichen Seminare in der ganzen Welt zurückblickst, müssen doch bei bestimmten Ländern und Kontinenten eine Menge Erinnerungen wach werden. Was verbindest du spontan mit Kontinenten wie beispielsweise Afrika?
GM Bill Newman: Ich habe ziemlich viele Erinnerungen an Afrika. Eine davon ist das regelmäßige Ausreiten mit Freunden, die mir erzählten: „Sei vorsichtig und nimm dich vor Löwen in Acht! Löwen fressen gerne Pferde.“ Natürlich hatten sie sich einen Spaß erlaubt, denn wir waren nicht in Löwengebiet. Doch trotzdem hatte ich ein paar ängstliche Momente, bevor ich merkte, dass sie mich gehörig verladen hatten und es in Durban überhaupt keine Löwen gab.
Ich erinnere mich an das Leben auf einer Farm für ein paar Wochen; Spinnen so groß wie Teller. Einmal kam ich um Hilfe rufend aus dem Bad gelaufen mit den Worten: „Da ist ein Ding im Bad, das sieht aus, als wenn es vom Mars auf dem Spiegel gelandet wäre.“ Nachdem sie sich das Ding im Bad angesehen hatten, meinten sie: „Nein, das ist ein Haustier. Es ist eine Skorpionspinne, die Fliegen und Ähnliches frißt. Du kannst sie wie eine Katze oder einen Hund halten.“ Das war eine riesige Spinne.
Ich erinnere mich auch an Speikobras, echt gefährliche Schlangen. Und daran, dass ich mit echten Soldaten zum Paintballshooting ging. Nicht mit Pfadfindern oder Spielzeugsoldaten, und die zeigten mir dann, dass ich im Gefecht in ernsten Schwierigkeiten gewesen wäre.
Dabei wird einem recht schnell klar, dass es reines Glück bedeuten würde, wenn man einem ausgebildeten Mann gegenüberstünde und überlebte. Und ein gut ausgebildeter Mann ist einem Untrainierten stets überlegen. Das gilt für WT ebenso wie für Escrima oder sonst etwas. Es bedeutet nicht notgedrungen, dass man gewinnt, aber es erhöht deine Chancen immens.
WTW: Du hast sogar Zulus getroffen, als du in Afrika warst.
GM Bill Newman: Ja, ich habe Zulus kennengelernt. Das sind sehr harte Kerle. Man könnte die Kampfmethode der Zulus nicht auf unsere westliche Situation übertragen. Denn die Zulukämpfer schlagen sich wirklich!
Wenn wir in Europa oder Amerika von Vollkontakt sprechen, können wir das eigentlich vergessen im Vergleich mit diesen Kerlen. Sie müssen eine andere Schmerzgrenze haben. Sie nehmen gebrochene Knochen mit der gleichen Gelassenheit hin wie wir einen gestauchten Zeh oder ein umgeknicktes Fußgelenk. Sie gebrauchen ihre Fertigkeiten für verschiedene Ziele. Ich habe mich mit den Zulus ausgetauscht. Sie hatten ihre Stöcke und ich hatte meine.
WTW: Wie werden sie mit den Schmerzen fertig? Versetzen sie sich in einen Trancezustand?
GM Bill Newman: Ich hatte wirklich keine Zeit, um dahinter zu kommen. Aber ich denke, das Ganze wird klarer, wenn man mit Leuten spricht, die in so einer Umgebung groß geworden sind. Wenn wir innerhalb eines Tages ein Zehntel der Strecke zu Fuß zurücklegen würden, die diese Menschen bewältigen, dann wären wir verkrüppelt. Ihre Füße sind daran gewöhnt. Sie haben eine höhere Schmerzgrenze und sie treten auch nicht auf Dinge, auf die wir treten würden. Während sie es schaffen, diesen Dingen auszuweichen, würden wir es schaffen, darauf zu treten. Vielleicht ist auch ihre Haut dicker, denn wenn man siehst, wie sie aufeinander einschlagen, dann möchte man keinem gegenüber stehen.
WTW: Was ist mit Asien?
GM Bill Newman: Ich war nur ein Mal in Asien, und zwar mit der EWTO zu Großmeister Leung Tings 50. Geburtstagsparty, von der ich wohl sagen kann, dass es eine der besten Erfahrungen meines Lebens war – ohne Zweifel. Höchst exotisch, unglaublich aufregend, wunderbar. Unmöglich, es mit irgendetwas zu vergleichen. Eine wundervolle Zeit, ein wundervoller Ort. Erinnerungen, die für immer bleiben. Diese Erfahrung kann ich wirklich mit nichts anderem vergleichen. Hongkong und China – einfach wundervoll.
WTW: Warst du jemals auf den Philippinen?
GM Bill Newman: Das ist wohl die seltsamste Sache. Obwohl ich ein hochgraduierter Lehrer in den philippinischen Kampfkünsten bin, war ich noch nie auf den Philippinen. Es ist nicht so, dass ich dort nicht schon einmal hin wollte. Das Problem war immer ein Mangel von Zeit und Geld. Jedes bisschen Geld und jedes bisschen Zeit, die ich hatte, habe ich für Forschungen und Reisen nach Amerika ausgegeben, weil meine Wurzeln nicht bis zu den Philippinen reichen. Die liegen woanders. Meine Wurzeln sind in Stockton in Kalifornien. Und jeder Meister, jeder Escrimador, den ich je getroffen habe, kam aus Stockton. Wäre ich auf die Philippinen geflogen, hätte ich davon nichts gehabt. Ich wäre lediglich ein Tourist gewesen, der sich die Sehenswürdigkeiten anschaut. Ich hätte dort Escrima gesucht, ohne es je zu finden. Es wäre dumm gewesen, diese weite Entfernung zu fliegen, um etwas zu suchen, das dann nicht da ist. Deshalb habe ich all meine Zeit und Mühe auf Stockton konzentriert, wo meine Wurzeln liegen.
WTW: Ich habe gehört, du warst auch in Kanada.
GM Bill Newman: Die meisten Leute würden wohl sagen, dass ich in Kanada war. Aber ich war nicht wirklich in Kanada. Ich war in einem kleinen Teil einer Provinz. Ich war in Ontario und reiste durch diese Ansammlung von Orten mit britischen Namen. Sehr verwirrend für mich. Ich war in Dalston, das weniger als einen Kilometer von dem Ort entfernt ist, wo ich in England wohne. Wir sind nach Windsor gefahren, was etwa zwanzig Kilometer von meinem Heimatort entfernt ist; und wir waren in Victoria, in London. Das ist der seltsamste Ort, an dem ich jemals war. Man fühlt sich dort, als ob jemand die Landkarte von England zerrissen, alle englischen Ortsnamen in einen Sack gesteckt und in die Luft geworfen und zugesehen hätte, wo sie aufgekommen wären, und da sind sie dann geblieben.
WTW: Gibt es noch andere Länder, die du besucht hast und von denen du uns einige Erinnerungen erzählen kannst?
GM Bill Newman: Nun, selbstverständlich habe ich auch Europa bereist. Und Nordamerika natürlich, um meine Wurzeln zu besuchen. Und wenn ich Nordamerika sage, dann ist das nicht das wirkliche Amerika. Ich war in New York, Denver und selbstredend in Florida, wie jeder.
Es mag komisch klingen. Ich bin um die ganze Welt gereist, bin also ein ziemlich erfahrener Reisender; ich weiß nicht, ob das etwas über meinen Charakter aussagt oder nicht, aber ich denke, dass Las Vegas eine der wundervollsten Städte der Welt ist. Ich liebe Las Vegas. Es ist einfach unglaublich. Ich würde das nicht zu sehr betonen, sonst hält man mich noch für verrückt, aber mein Rat an jeden, der noch nicht in Las Vegas war – geht dort hin!
Die meisten meiner Reisen waren in Europa. Skandinavien – ich erinnere mich, dass ich im Dezember 1984 unterwegs von Puttgarden über Rodby nach Kopenhagen war. Als wir nach Rodby fuhren, waren wir auf einem Eisbrecher. Es war kalt. 25 Grad unter Null in Puttgarden. GM Kernspecht brachte mich mitten in einem Schneesturm zur Fähre in Burg auf Fehmarn und es war wie in Sibirien. Ich fuhr mit dem Boot nach Kopenhagen. Von Rodby nahm ich den Zug und der saß dann im Schnee fest. Ich saß für Stunden im Zug und mußte mit einem verrückten Holländer reden, ehe wir weiterfahren konnten. Um drei Uhr morgens kam ich in Kopenhagen an, nahm ein Taxi und klopfte an Allan Jensens Tür, ging hinein und Allan schlief auf dem Boden. Am nächsten Tag gab ich ein Seminar für zehn Leute in einem geteilten Tanzstudio.
Wenn ich von den Wurzeln des Escrima spreche, dann sehe ich die Wurzeln in Stockton und natürlich London, England. Und von dort gehen meine persönlichen Wurzeln an verschiedene Orte in Europa.
Training in kleinen Schulen mit zehn, fünfzehn Schülern in gemieteten Räumen, in Schulen mit Toiletten, bei denen man schon ziemlich verzweifelt sein musste, um sie zu benutzen. Geteilte Unterkünfte, auf dem Boden schlafen, Brot und Käse essen. Ich erinnere mich an Schweden. Es war sehr kalt und verschneit. Es gab nicht viel zu tun nach dem Seminar. Wir wollten uns einen speziellen Kung Fu-Film anschauen und wir mussten einen Videorekorder und dann auch einen Fernseher mieten. Die Wurzeln des Escrimas sind meine Wurzeln. Ich reiste durch Skandinavien, durch Deutschland, Holland, Spanien, Italien, die Schweiz und natürlich England. Ich bin eine unglaubliche Menge an Kilometern gefahren. Einmal haben wir mit Victor Gutierrez und seinem Bruder Javier in Spanien zwei Seminare an einem Tag gehalten, wobei wir etwa tausend Kilometer fahren mussten.
Kleine, gemietete Räumlichkeiten. Alle trainierten wie verrückt und träumten davon, mal ein Profi zu werden. Und ich tat genau dasselbe. Ich fuhr nebenher Zeitungen aus. Ich fuhr einen Kleintransporter für den „Evening Standard“. Während ich meine Arbeit am Tag machte, träumte ich davon, ein beruflicher Kampfkünstler zu werden. Ich trainierte in Mieträumen, zahlte meine Miete und ging zur Arbeit. Ich glaube nicht, dass es zu dieser Zeit in Europa hauptberufliche Kampfkünstler im WT oder Escrima gab. Sie hatten alle eine feste Arbeit.
Bei gemieteten Räumlichkeiten waren die Klassen nie größer als 10-15 Leute. Also ging ich zur Arbeit. Wenn ich über das Wochenende zurück kam und meine Ausgaben gedeckt waren, hatte ich eine sehr gute Woche. Ich ging zur Arbeit und finanzierte so meine Unterrichtstätigkeit. Damals hatte ich das Glück, dass mir mein Job Zeit ließ, so trainieren zu können, wie ich wollte. Es war finanziell machbar. Ich hatte eine tolle Zeit, und wenn es mich nicht zu viel kostete – ausgezeichnet. Dort sind meine Wurzeln. Die Leute reden davon, zurück nach China oder auf die Philippinen zu gehen, zurück irgendwohin, zurück in die Vergangenheit. Ich sehe das nicht so. Ich bin noch mit den Leuten zusammen, die meine Wurzeln sind. Und was die Philippinen betrifft, so sehr ich auch dorthin möchte, ich glaube, ich werde niemals dorthin gehen, weil ich einfach nicht glaube, dass meine Ursprünge dort sind. Meine Ursprünge sind in Stockton und hauptsächlich in England; winzige Sporthallen und Schulen auf der ganzen Welt. Und glücklicherweise bin ich immer noch da. Daher müssen meine Wurzeln hier sein, denn ich gehe immer noch an diese Orte und rede mit den gleichen Leuten und trainiere mit ihnen und genieße es, mit den Leuten zusammen zu sein, die sich all diese Jahre für Escrima begeisterten. Ohne diese Leute gäbe es kein Escrima.
WTW: Du arbeitest oft mit Leuten, die ihre kämpferische Fähigkeiten in Ausübung ihrer beruflichen Pflichten benutzen, wie beispielsweise Polizisten, Sicherheitskräfte oder Türsteher. Inwiefern sind Seminare für dieses Klientel anders als für die „Normalen“?
GM Bill Newman: Generell gibt es zwei Arten von Leuten. Normale Schüler wollen gewalttätig sein, bis sie mit Gewalt konfrontiert werden. Erst wenn sie tatsächlich Gewalt erfahren, möchten sie keine Gewalt mehr anwenden. Man hat also einerseits Leute, die Gewalt anwenden und anwenden müssen und die versuchen, Mittel und Wege zu finden, dies zu verhindern. Und dann hat man solche, die derartige Erfahrungen nicht gemacht haben und gewalttätig sein wollen. Daher gibt es irgendwo in der Mitte einen Punkt, von dem aus jeder vernünftige Mensch dieselbe Richtung einschlägt.
Ich habe herausgefunden, dass Menschen, die Gewalt kennen und mit ihr leben müssen, Wege suchen, um sie nicht anwenden zu müssen. Und die Menschen, die nie Gewalt erfahren haben, suchen nach ihr. Und wenn sie das erreicht haben, dann gehen sie den gleichen Weg. Kein geistig gesunder, rationaler Mensch will Gewalt.
WTW: Haben die Männer in den Sicherheitskräften andere Qualitäten?
GM Bill Newman: Ja, sie haben die Qualität der Erfahrung. Sie haben es getan. Wenn Schüler zu mir kommen und fragen: „Wie kann ich das machen?“ oder „Wie kann ich jenes machen, Master Bill?“, dann sage ich ihnen, dass sie einen Job als Türsteher annehmen und die ganze Nacht in der Kälte stehen sollen. Dann werden sie es herausfinden.
Das ist eines der großen Probleme des Unterrichtens. Es ist sehr schwierig, die eigenen Erfahrungen weiterzugeben. Man kann nur die Ergebnisse der Erfahrungen mitteilen. Man kann einige von den Dingen weitergeben, die man weiß. Aber es ist sehr schwierig für die Schüler, die Gefühle des Lehrers zu erfahren. Deshalb sollte jeder, der sagt, er könne nicht schlafen, versuchen, eine Nacht wach zu bleiben und dann sehen, wie er die nächste Nacht schläft. Das ist eine interessante Erfahrung.
Jeder gute Türsteher sucht nach Wegen, der Gewalt aus dem Weg zu gehen und mit ihr umzugehen und nicht, sie anzuwenden. Man kann zwei Arten von Menschen unterscheiden: Leute, die Gewalt haben wollen, und solche, die sie unter Kontrolle halten wollen, wie der gute Polizist, der gute Personenschützer, der gute Türsteher – wer auch immer.
Sie alle suchen nach Wegen, die Gewalt zu kontrollieren, während andere gewalttätig sind.
Die Mehrheit derjenigen, die Gewalt suchen, werden entweder bei uns aufhören oder ausgesondert, denn man kann sie erkennen. Bei uns ist kein Platz für sie.
WTW: Wenn wir schon über die vernünftigen Menschen sprechen: Lehrst du den Sicherheitsleuten, die versuchen, zu deeskalieren, psychologische Mittel, die nicht direkt im technischen Bereich liegen?
GM Bill Newman: Man kann niemandem Erfahrung weitergeben.
Man kann bestimmte Drills unterrichten, auch Rollenspiele, die der realen Situation sehr nahe kommen. Aber die einzige Art, Erfahrungen zu sammeln, ist hinauszugehen und den Job zu machen. Dann sieht man, was für einen selbst funktioniert. Das ist das gewisse Etwas, das man nicht für Geld kaufen kann.
WTW: Viele Leute verkaufen Bücher, die sich mit dem Thema Angst beschäftigen und wie man mit ihr fertig wird. Würdest du behaupten, dass das alles schön und gut zu lesen ist, aber dass es nicht funktioniert?
GM Bill Newman: Das kommt auf die Person an, die das Buch liest, also auf ihre eigenen persönlichen Fähigkeiten. Zwei Leute können dasselbe Buch lesen, und für den einen macht es Sinn, für den anderen nicht. Ich meine natürlich den psychologischen Ansatz – wenn du Geoff Thompsons Buch liest, dann findest du bestimmte Dinge, die absolut sinnvoll sind und dir helfen können. Ich würde dieses Buch jedem empfehlen.
WTW: Du hast eine herkulische Aufgabe bewältigt, indem du das Escrima in die Welt getragen hast und für einen hohen Qualitätsstandard unter deinen Schülern gesorgt hast. Diese Qualitätskriterien hast du in den letzten Monaten noch einmal angehoben. Kannst du uns sagen, welche Dinge du im Unterrichtsaufbau des Escrima für die wichtigsten hältst?
GM Bill Newman: Vielleicht sieht es für manchen wie eine herkulische Aufgabe aus, aber das war es für mich nie. Es hat mir immer Spaß gemacht – und da spielt es keine Rolle, ob es mal zehn oder vierzehn Stunden waren. Ich habe es nie als Pflichtaufgabe angesehen, Escrima zu verbreiten. Ich bin kein Kreuzzügler. Ich bin kein Missionar, aber ich versuche, Escrima bekannt zu machen. Ich habe bestimmte Aufgaben, eine davon ist es, mich um die EWTO-Schüler zu kümmern. Das ist meine Arbeit. Aber ich möchte nicht die Person sein, die Escrima – wohin auch immer – gebracht hat. Das hatte ich auch nie vor. Ich wollte vielmehr das genießen, was ich tat, eine gute Zeit haben und Escrima promoten. Ich würde sagen, dass ich mich für das Escrima einsetze. Und ich setze mich für die EWTO ein, aber ich ziehe nicht aus, um das Wort vom Escrima zu verbreiten. Das habe ich nicht getan. Natürlich war es mein Ziel, einen hohen Qualitätsstandard zu entwickeln. Dabei muss man verstehen, dass auch ich lerne. Was ich jetzt mache, unterscheidet sich von dem, was ich vor fünf Jahren gemacht habe. In der Tat hoffe ich, dass es sich sogar von dem unterscheidet, was ich letztes Jahr gemacht habe.
Ich sehe, dass wir uns ständig verändern. Hohe Qualität muss sich entwickeln. Ich versuche, meinen Ausbildern das Leben etwas zu erleichtern. Die Botschaft, die wir versuchen zu vermitteln, ist, die Qualität zu verbessern. Und ich werde versuchen, alle möglichen Methoden dafür zu benutzen. Daher sind auch einige der Lehrmethoden und einige der Dinge, die ich unterrichte, nicht traditionell.
WTW: Ein Hauptteil des Formenunterrichts des neuen Lehrplans für die ersten zwölf Schülergrade Escrima besteht lediglich aus einer Warm-Up-Form und einer, in der sämtliche Angriffe und Abwehren für verschiedene Waffen enthalten sind.
Vergleicht man das mit den alten Tagen, als die Schüler viel mehr verschiedene Formen lernen mußten, gibt es dann heute weniger zu lernen?
GM Bill Newman: Nun, natürlich gibt es nicht weniger zu lernen. Die Dinge werden jetzt in einer anderen Reihenfolge gelernt. Die Formen und Warm-Ups stammen nicht aus den finsteren Nebeln der Vergangenheit. Sie sind eigentlich recht moderne Erfindungen. Es sind Vehikel, die wir geschaffen haben, um das System einfacher und komfortabler zu machen, damit man es schneller lernen kann. Und wenn man sie wieder ändern muss, dann ändert man sie eben wieder. Das Ergebnis davon ist vielleicht auch Teil meines Lernprozesses, Teil meiner Erfahrung. Ich habe diese Übungen entwickelt und es war das Beste, was ich zu der jeweiligen Zeit machen konnte. Ich konnte es nicht anders machen. Damals war es die beste Art und Weise, und jetzt habe ich eine bessere gefunden. Deshalb habe ich die Formen geändert. Aber das war nicht unbedingt das, was man mir beigebracht hat. Das sind Methoden, die ich erfunden habe, zum Leben erweckt oder verändert habe, um die Dinge leichter, besser und schneller für die Schüler zu machen. Jetzt gibt es eben eine andere Methode. Und hoffentlich wird es noch eine andere Möglichkeit geben. Man hat mir beigebracht, Dinge aufzutrennen und zu analysieren – und dann, sie erneut zu trennen und zu analysieren, bis man zu einer Art Wahrheit angelangt. Ich habe diesen ständigen Prozess der Eliminierung seit rund dreißig Jahren durchgemacht. Und im Moment komme ich an etwas heran, von dem ich glaube, dass es für einige Zeit in der Zukunft Bestand haben wird. Dann werden sich einige fähigere Köpfe als ich damit beschäftigen müssen und es noch besser machen.
Mit dem System, wie wir es jetzt vor uns haben, sind wir z. B. in der Lage, die Handhabung von neuen Polizeiwaffen wie dem Tonfa einzubauen. Die Polizei ist in einem ständigen Prozeß der Veränderung. Es gibt neue Waffen. Sie kommen zu uns und fragen uns: "Wir haben diese Waffe, könnt ihr etwas damit anfangen?" Einige dieser Waffen kommen aus stilfremden Richtungen, aus anderen Ländern. Es gab sie vorher nicht. Dann schauen wir sie uns an, analysieren sie und versuchen herauszufinden, wie sie funktionieren. Und wer weiß schon, was in der Zukunft sein wird? Vielleicht werden wir wissen, wie wir das in hundert Jahren mit einem Lichtschwert machen können.
Wenn die Polizei an uns herantritt, oder eine Personenschutzorganisation uns um Rat frägt, können wir dann sagen: "Nein. Unser Stil ist so traditionell, dass wir damit nichts anfangen können? Für so etwas haben wir keinen Platz. Wir machen das und nur das. Also entweder macht ihr das mit einem Sai oder mit einem Nunchaku oder mit diesem hier oder jenem oder wir können euch nicht helfen."
Natürlich können wir ihnen helfen. Wir sind flexibel genug, um uns der Zukunft anzupassen, aber wir sind auch flexibel genug, um uns der Vergangenheit anzupassen. Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo wir Espada y Daga in unserem System haben – Schwert und Dolch: Von den spanischen Wurzeln zu den Philippinen und wieder zurück nach Europa.
Wer die Geschichte kennt, weiß, dass die Spanier die Philippinen eroberten und ihre Herrschaft dort für eine lange Periode aufrecht erhielten. Und einer der Gründe, warum sie dies schafften, war neben der Tatsache, dass sie Pferde, Rüstungen und Schwarzpulver hatten, das Schwert und das Rapier. Schwert und Rapier waren keine echten Kriegswaffen. Es sind Waffen für den einzelnen Gentleman. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Philippinos, die einen Gentleman mit Rapier und Schwert sahen, auch gerne mit diesen Waffen kämpfen wollten. Verständlicherweise wollten sie auch diese, besonders gegen halbnackte Menschen wirksamen Waffen haben. Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Leute versucht haben, diese Waffen zu kopieren oder wenn sie sie schon nicht kopieren konnten, zumindest einen Weg zu finden, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Daher vermute ich, dass man in den philippinischen Kampfkünsten, über die ich nichts weiß und auch nicht vorgebe, etwas zu wissen, entsprechende Elemente findet. Es gibt „Espada y Daga“ in bestimmten philippinischen Kampfkünsten. Die Version von Espada y Daga, die ich unterrichte, ist spanisch, europäisch, was uns zu den mittelalterlichen Waffen führt.
Unter anderem deswegen haben wir auch mittelalterliche Waffen in unserem Stil. Man muss bedenken, dass das System für die Schüler da ist, nicht für mich. Und einige Schüler, nicht alle, sind von mittelalterlichen Waffen fasziniert und haben ein Gefühl dafür. Wenn man die Leute betrachtet, die von diesen Waffen fasziniert sind, und sich vorstellt, wer sie in einer Zeit wie dem Mittelalter gewesen sein könnten, dann kann ich mir vorstellen, dass sie wohl Menschen mit dem Schwert getötet haben. Während diejenigen, die Schwerter nicht mögen, in früheren Zeiten vielleicht durch das Schwert ums Leben gekommen sind. Die einen berühren das Schwert und sind sofort fasziniert davon. Die anderen sagen, es sei unbeholfen, häßlich und brutal. Zu den ersteren würde ich mich zählen. Ich habe einen besseren Bezug zu einem europäischen Schwert als zu einem Stock.
Das heisst nicht, dass ich etwas gegen die philippinischen Kampfkünste hätte, im Gegenteil, ich liebe die philippinischen Kampfkünste. Offensichtlich, denn ich betreibe Escrima immerhin schon rund dreißig Jahre.
Ich habe mich darin verliebt und ich liebe es immer noch. Ich bin immer noch mit demselben Escrima verheiratet. Aber es gibt keinen Grund, warum ich mich nicht auch einem Teil meines eigenen Erbe zuwenden sollte, wenn man es einmal so nennen will. Ich bin Europäer. Und die mittelalterlichen Waffen berühren etwas tief in mir, berühren etwas in unseren Schülern. Wie schon gesagt, ist dieser Teil nicht philippinisch, aber wir können uns darauf einstellen. Unser Escrima ist bekannt als ein Stil, in dem hart zugeschlagen wird. Mit der Mehrheit der von uns verwendeten Waffen schlagen wir hart zu.
Es ist sehr schwierig, „Abanico“ mit einem Schlachtschwert zu machen, schnörkelige Bewegungen auszuführen. Es ist sehr schwer, mit dem Glaive Spiele zu spielen. Aber wenn man es vernünftig betrachtet, dann ist unser System noch nicht fertig. Der Diamant, die Form, der Stein hat noch nicht seinen letzten Schliff bekommen. Er liegt noch auf der Bank und wird poliert. Wie wir wissen, kommt das Funkeln des Edelsteins vom Schliff. Das eigentliche Rohmaterial ist ziemlich häßlich. Wir haben schon seit dreißig Jahren an unserem kleinen Rohdiamanten rumgefeilt und an jeder seiner Facetten gearbeitet.
Wettkämpfe sind ein integraler Bestandteil dieser Facetten. Und auch Drills und Formen. Aber eine Form ist ein lebloses Ding, genau wie ein ungeschliffener Diamant, und wenn ihm nicht Leben eingehaucht und er poliert wird, dann hat er überhaupt keinen Wert. Ebenso wie ein Drill, wie eine Form, wie eine Technik – genau dasselbe. Es gibt so viele verschiedene Facetten. Und einige müssen derzeit noch poliert werden. Eines Tages mag vielleicht jemand den Diamanten fertig geschliffen haben.
Schaut man sich jetzt die verschiedenen Facetten an, die wir haben, dann sind die mittelalterlichen Waffen auch ein Teil davon. Sie erfüllen den Teil des europäischen Erbe, das europäische Element unseres Systems.
WTW: Wenn man deine Erfahrungen und die deiner Ausbilder in Betracht zieht, wie bewährt sich das neue Programm?
GM Bill Newman: Im Rückblick auf mein Kampfkunstleben habe ich uns wachsen sehen; ich habe WingTsun wachsen sehen und ich habe Escrima wachsen sehen.
Wir leben nicht in einer strukturlosen Gesellschaft. Und auch unser Stil braucht einen Rahmen. Der Rahmen, den wir ihm geben – wir haben es tatsächlich schon niedergeschrieben – ist wie ein Skelett. Es sind die blanken Knochen, an die man die Programme hängt. Es ist dann abhänging von dem einzelnen Ausbilder und dem Schüler, Muskeln und Fleisch dazuzugeben. Wir geben das Knochenskelett und die Bänder und Sehnen, aber wir können nicht das Endprodukt dazu tun, die Seele. Ich fertige das Skelett. Aber wie kann man ein Großmeister sein ohne Schüler?
Deswegen brauchen wir als erstes Schüler und dann brauchen wir Ausbilder. Dann brauchen wir etwas, woran diese Leute arbeiten können. Deshalb geben wir ihnen das Skelett. Das ist alles, was ich zur Verfügung stelle. Ich sehe mich nicht als Großmeister. Wenn mich die Leute so nennen, ist das deren Entscheidung. Ich hoffe, dass ich jemanden das Werkzeug geben kann, um die Aufgabe zu erledigen. Ich gebe ihnen Hilfsmittel.
Wir haben Anweisungen und Programme für Schüler und Ausbilder – das alles sind Knochen, keine Muskeln.
WTW: Du hast Tausende von Schülern kennengelernt. Gibt es unter ihnen einen gemeinsamen Nenner? Was gibt ihnen Escrima? Was suchen sie im Escrima?
GM Bill Newman: Einer der allgemeinsten gemeinsamen Nenner für alle Schüler der Kampfkünste ist die Tatsache, dass sie alle Selbstverteidigung lernen wollen. Das ist tatsächlich so einfach. Das Problem unseres Stiles ist, dass man nicht einfach in einer Ritterüstung die Straße runtergehen kann. Man kann kein Glaive mitnehmen. Wir lieben es, damit zu trainieren. Aber wir können es nicht mitnehmen. Wir lieben Schlachtschwerter, Wikingerschwerter, Sax-Schwerter, wir mögen Buckler. Wir benutzen sie dauernd. Wir trainieren Espada y Daga. Wäre es nicht wundervoll, wenn wir verwegen die Straße hinabstolzieren könnten mit einem Buckler an der Hüfte? Mit Schwert und Rapier? Es wäre ein perfektes Leben – aber das geht nicht. Wir dürfen noch nicht einmal mit einem Stock die Straße entlang gehen. Und in England darf man gar nichts bei sich tragen. Nicht einmal ein Taschenmesser. Auch ein Teleskopstock ist nicht erlaubt. Ich unterrichte ein Waffensystem. Die Leute kommen zu mir, um Selbstverteidigung zu lernen. Sie lernen es und dürfen es nicht anwenden. Das Ganze ist eine sehr seltsame Situation. Die Leute wollen bestimmte Dinge, wie gesagt, mittelalterliche Waffen, spanische Waffen, und was kann ich ihnen sagen? Sie werden Spaß damit haben. Aber sie müssen die Waffen unter Verschluß zum Seminar bringen, weil man Schwerter nicht einfach so bei sich tragen darf. So kommt man also am Ort des Geschehens an, geht hinein, spielt alte Schlachten nach, macht einen kurzen Zeitsprung. Man hat eine tolle Zeit, kommt heraus und schließt die Waffen wieder weg – so als ob du Schrotflinten bei dir hast. Unter Verschluss, mit Lizenz. Unter normalen Umständen absolut wertlos für die Selbstverteidigung. Also was könnte Escrima ihnen geben?
Escrima gibt ihnen die Möglichkeit, für sich selbst zu denken. Unsere Waffen werden immer kleiner. Bis wir an einen Punkt kommen, wo sie nur noch so groß sind wie ein Handy, ein Schlüsselbund, Kugelschreiber oder ähnliche Alltagsgegenstände. Ein Teil des Systems befriedigt die Phantasie-Seite. Ein anderer Teil trägt der Budo-Seite der Selbstverteidigung in einer modernen Gesellschaft Rechnung.
Die Sache ist die, dass wir ihnen die Fähigkeit geben, für sich selbst zu denken und zudem die wichtigste Sache der Welt – Bewegung. Betonte, korrekte Bewegung und Strategie. Mit Bewegung und Strategie kannst du jede Waffe benutzen. Das bringen wir ihnen bei. Bewegung ist natürlich eines der wichtigsten Dinge. Nicht bloß Bewegung, sondern richtige Bewegung; wie man Körpersprache liest; wie man sie interpretiert. Und wenn man sich eine Escrimaklasse beim Training ansieht – mit richtigen Schlägen zum Ziel – dann lernt man einen der wichtigsten Aspekte unserer modernen Gesellschaft – Stressbewältigung. Stress ist der Killer. Stress tötet einen.
Nicht nur der Stress des Adrenalins, das das System vergiftet. Der tatsächliche Stress besteht darin, zu wissen, was man tun soll, wohin man gehen soll. Daher würde ich sagen, dass Stressbewältigung, Bewegung, Strategie sowie Körpersprache lesen die wichtigsten Dinge sind, die wir dem Schüler beibringen. Ich halte Selbstvertrauen für die größte Gabe, die es gibt.
WTW: Viele Bücher sind über die Reaktionen von Menschen in Stress- und Notfallsituationen geschrieben worden, wie beispielsweise in einer Selbstverteidigungssituation. Was sind deine Erfahrungen mit diesem Aspekt der Kampfkünste? Kann man diesen Aspekt in den Lehrplan einbinden? Was sagst du deinen Schülern normalerweise, wenn sie dich fragen, wie sie sich auf das Schlimmste vorbereiten können?
GM Bill Newman: Wir wissen, dass viele gute Bücher über dieses Thema geschrieben worden sind. Und mein Rat an alle, die darüber Bücher lesen wollen – die erste Wahl wäre natürlich „BlitzDefence“ von Sifu Keith R. Kernspecht und Geoff Thompsons Buch „Die Tür“. Ich denke, dann hat man alles, was man braucht.
Meine Erfahrungen auf diesem Gebiet sind eigentlich ziemlich begrenzt. Die meisten meiner Kämpfe fanden in der Sporthalle statt. Das habe ich ziemlich lange gemacht. Das war „heavy duty“. Ich habe ein wenig als Türsteher gearbeitet. Das möchte ich nicht. Ich würde es auch nicht empfehlen. Jedenfalls nicht, um Geld zu verdienen. Dann schon eher, um Erfahrungen zu sammeln. Das war eine ziemlich gute Erfahrung. Es ist wie eine Kriegssituation – neunzig Prozent Langeweile, zehn Prozent Panik. Wir versuchen, den Leuten diese Erfahrung im Training zu vermitteln. Es ist im System eingebaut. Dennoch liegen zwischen der künstlichen und der wirklichen Situation Welten. Vergleichbar etwa mit dem Nachspielen von alten Schlachten und der Wirklichkeit. Oder unser Espada-y-Daga-Training mit stumpfen Waffen. Man kann sicherlich einen gewissen Realismus in alles hineinbringen. Aber wenn man zu weit geht ...
Betrachten wir beispielsweise mal das Heer, die Marine oder die Luftwaffe. Ich glaube, in der Royal Air Force gibt es eine recht hohe Zahl von Todesfällen bei Übungen. Möglicherweise sterben von denen mehr bei Übungen als bei Kampfeinsätzen.
Wollen wir so eine Situation für uns herstellen? Wir gehen so weit wir können und wenn einige weiter gehen wollen, dann müssen sie in die Spezialeinheiten gehen. Wir gehen soweit, wie wir das rechtlich und moralisch verantworten können. Wir haben Übungen, von denen wir annehmen, dass sie der Mehrheit der Situationen entsprechen, denen man sich heutzutage ausgesetzt sehen kann. Mein Rat an alle diejenigen, die es mal austesten wollen – macht es lieber nicht. Und wenn ihr euch in solche Situationen begebt, dann hattet ihr hoffentlich einen guten Escrima-Ausbilder, der euch so gut es ging an die Bedingungen angepaßt hat, so dass das Stresselement minimiert wurde. Denn das Stresselement ist der Killer. Wenn man das erst einmal gemeistert hast, dann wird man erkennen, dass die meisten Leute nur bluffen, Glück und/oder brutale Kraft haben oder einfach ungehobelt sind.
Ein trainierter Mann sollte in der Lage sein, damit fertig zu werden. Und daraus ergibt sich natürlich die Antwort – werde Türsteher für ein paar Monate.
Henning (Daverne) aus Kopenhagen stellte mir mal dieselbe Frage. Ich sagte ihm: „Geh’ und werde Boxer.“ Das tat er und er hatte 12 bis 14 Kämpfe, gewann sie und sagte: „Okay, schönen Dank. Das war genau, was ich wissen wollte.“ Und dann hörte er damit auf. Boxen ist keine schlechte Prüfung. Wenn du kämpfen willst, geh’ in den Ring. Find’ heraus, wie es dort ist. Henning machte es und das wird ihm für den Rest des Lebens reichen. Das ist der Rat, den ich ihm gab, den ich jedem geben würde. Wenn du losgehen willst, um zu kämpfen, werde Boxer und kämpfe legal. Mach’ das Training mit, die Entbehrungen. Und wenn du herausfinden willst wie das in einer „Straßen“-Situation ist, werde Türsteher. Aber nimm dich in acht! Ich sage oft im Spaß, dass Macht den Charakter verdirbt. Der Job als Türsteher gibt dir Macht. Pass’ auf, dass du durch diese Erfahrung ein besserer Mensch wirst, kein schlechterer. Lass’ die Macht über andere deinen Charakter nicht verderben, denn nicht alle Türsteher verändern sich zum Besseren.
WTW: In deinen Seminaren betonst du den Aspekt der Sicherheit für den Partner und das Bewusstsein für die Handlungen des Gegners. In jeder Sekunde sollen die Schüler aufmerksam sein und sich darüber bewusst sein, was sie tun. Wenn du deinen Ausbildern Unterricht gibst, dann erwähnst du oft den „Student from Hell“, der absichtlich oder unabsichtlich jemanden verletzen kann, wenn sein Partner gerade nicht aufpasst. Hast du jemals Erfahrungen mit derartigen Schülern gemacht ?
GM Bill Newman: Natürlich ist auf meinen Seminaren die Sicherheit von allergrößter Wichtigkeit. Schüler kommen zu meinen Seminaren und in meine Klassen, um zu lernen, wie man nicht verletzt wird. Sie kommen nicht, um zu lernen, wie man verletzt wird. Wir haben einen Stil, in dem man – wenn man es richtig betreibt – sehr hart zuschlägt. Wir schlagen kräftig genug zu, um Schaden anzurichten. Und wenn wir schlagen, denken wir an richtige Waffen. Und das Muskelgedächtnis einer echten Waffe in deinen Armen, in deinen Händen trägt ein hohes Gewicht. Die Leute gehen nicht einfach in Schulen und Sporthallen, um beigebracht zu bekommen, wie man getroffen wird. Es ist ein schmaler Grat. Es gibt Stile, die ihre Schüler ermutigen, mit Stöcken aufeinander einzuschlagen. Vollkontakt. Ohne Sicherheitsausrüstung. Und auch tatsächlich zu treffen. Das mag ich nicht, denn wenn meine Schüler Vollkontakt machen, dann kommen sie zu Schaden. Und überhaupt: Was soll der Nutzen davon sein? Das hat meiner Meinung nach keinen Sinn. Also schulen wir die Aufmerksamkeit. Denn natürlich musst du immer "en garde" sein. Man ist stets in Bereitschaft. Es ist eine recht eigenartige Erfahrung, ständig bereit zu sein. Aber wenn man in eine Sporthalle geht, dann muss man alles, was man tut, so gut machen, wie man es überhaupt zu tun vermag, weil es nichts Schlimmeres gibt, als zu sagen: „Oh, hätte ich doch... Hätte ich doch härter geblockt; hätte ich mich doch schneller bewegt; hätte ich doch dies oder das gemacht.“ Das „... hätte ich bloß ...“ sind wohl die schlechtesten Worte jeder Sprache:
„Ich wünschte, ich hätte meine Frau besser behandelt. Ich wünschte, ich hätte mich schneller bewegt. Ich wünschte, ich wäre nie in diese Bar gegangen.“ Leute begeben sich in brenzlige Situationen und wundern sich, warum sie Ärger bekommen. Es gibt eine Form der Bewusstheit, die beinhaltet, dass man ein wenig vorausschauend handelt. Aber wenn man in der Situation ist und alle Planung dahin ist, alle Dinge, die man hätte tun sollen, dann macht es auch keinen Unterschied mehr – man ist da. Dann muss man ein System haben, auf das man vertrauen kannt.
Das heißt, dass man wissen muss, wessen Fehler es war, wenn man seinen Schülern sagt, dass sie einen „Nummer-Eins-Schlag“ geben sollen und sie treffen. Manche Schüler können das sehr gut.
Wir nennen diese Art Schüler den „Student from Hell“. Es ist ein kleiner Witz, ein Klischee. Aber bei einigen Schülern kann sich der Stock um einige Zentimeter beschleunigen, die Schlaggeschwindigkeit kann sich um das Drei- bis Vierfache erhöhen.
Die Kraft kann verdeckt sein, so wie jeder gute Kämpfer seine Aktionen verdeckt. Er versucht, bei seinen Angriffen zu fintieren, zu täuschen; er wird die Kraft verbergen. Das sieht man jeden Tag in jedem Kampf. Man wird auch Tennisspieler sehen, die täuschen. Kämpfer täuschen an. Sie wechseln den Angriff, sie lassen einen reinfallen und in den Schlag laufen. Das nennt man einen „Suckerpunch“. Einige von denen habe ich schon abbekommen und ich trage die Narben, die das zeigen. Ich erzähle immer noch, dass mir das passiert ist, und ich möchte nicht, dass es einem meiner Schüler passiert. Ich stand da und das Blut lief mir das Gesicht herab. Glücklicherweise bin ich noch nie bewusstlos geschlagen worden. Eigentlich bin ich noch nie zu Boden gegangen, darüber bin ich sehr froh. So ein „Student from Hell“ kann also zum Seminar kommen.
Die meisten Leute machen sich absolut nicht klar, wie zerbrechlich der menschliche Schädel und Körper ist. Es gibt Leute, die ihre Schüler ermutigen, zum Kopf zu schlagen. Ein einziger Schlag mit einer Waffe zum Kopf während deines gesamten Lebens, kann ein Schlag zu viel sein! Ich will, dass nicht ein einziger meiner Schüler jemals auf den Kopf geschlagen wird. Das ist der Grund, weshalb ich Escrima unterrichte, nicht damit ich die Gefahr erhöhe, getroffen zu werden. Ich weiß, wie gefährlich es ist, am Kopf oder im Genick getroffen zu werden. Das kann tödlich sein. Es gab Leute, die mich herausgefordert haben und nicht wussten, was sie da machten. Sie dachten, dass sie mich treffen könnten und ich sie und dass sie das überleben würden. Eins ist sicher: Sie hätten nicht überlebt!
Wenn ich jemanden mit dem Stock auf den Kopf schlage, dann überlebt er das nicht. Manche Menschen glauben, das sei ein Witz. Einige denken, sie sehen fern, sie schauen sich einen Film an. Dort sehen sie, dass Leute auf den Kopf geschlagen werden und mit Waffen auf Körperteile einschlagen. Doch die Realität hat nichts mit Fernsehen zu tun. Es hat nichts mit Roman lesen oder Filme gucken zu tun. Man sieht Leute in Filmen, die würden im richtigen Leben nicht überleben. Es gibt Leute, die nicht zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden können. Ich versuche, ihnen den Unterschied zu erklären. Wir wissen, dass auf den Kopf geschlagen zu werden das Schlimmste ist, was einem zustoßen kann. Man kann sich keinen neuen Kopf kaufen. Man kann sich kein neues Gehirn kaufen, kein neues Auge; man kann sich neue Zähne kaufen, aber die sind sehr, sehr teuer.
WTW: Letzte Frage für heute – was ist dein Lieblingsbuch?
GM Bill Newman: Shogun.
WTW: Vielen Dank für dieses Gespräch, Grandmaster Bill